Was kann einen erfolgreichen Freitag, an dem man mal wieder alles aus seinen Kunden und dem eigenen Portfolio geholt hat, noch so richtig versüßen?
Richtig, eine Reise mit der Deutschen Bahn!
Man bemüht sich natürlich die Projekte so zu finalisieren, dass sowohl der Kunde als auch man selbst beruhigt, glücklich und vor allem zeitnah ins Wochenende starten kann, denn vor einem liegen, so glaubt man, 5 1/2 Stunden purer Entspannung in denen man noch ein mal über Briefings und Abschlüsse sinniert, das Hörbuch weiter als 5 Minuten hört, natürlich im Skript der Uni blättert und fleißig unterstreicht und gemütlich von einem Ort zum nächsten geschaukelt wird.
Versucht man selbst auch enge Timings zu halten, so ist das der Bahn ziemlich schnurz! Das ist nichts Neues. Man schlürft also noch eben mit den Kollegen den freitägigen Prosecco, um dann im Eiltempo zum Bahnhof zu rennen. Man füllt den Getränke- und Essensvorrat auf, kauft sich eine schlaue Zeitung, die man eh nicht lesen wird, weil man ja wie bereits erwähnt andere essenzielle Dinge vor hat und drängt sich durch die Massen gesichtsloser Touristen, die, völlig überwältigt von der Glanzleistung des Bahnhofsarchitekten, an die Decke glotzen. Endlich erreicht man das rettende Gleis und darf dort feststellen, dass man wieder auf die andere Seite und somit zu einem anderen Gleis muss. Bis hierhin ist alles recht unspektakulär, wenn auch schweißtreibend.
Die Bahn kommt, zu spät, aber sie kommt. Die Massen und Gerüche mit ihr. Die Ähnlichkeit meines ICEs mit der U3 an einem Samstag gegen 3Uhr ist verblüffend. Ich schließe mich also schnell in meinem Abteil ein wo auch schon eine alleinerziehende (über das mit dem Erziehen lässt sich bekanntlich streiten) Mutter mit ihren beiden Söhnen auf mich wartet. Ebenso erfreulich ist die Blondine, die mit ihrem iPad Mini mir gleich gegenüber sitzt. Ich mache es mir bequem und freue mich über meine Entscheidung, das Haus heute morgen nur mit einem Pulli verlassen zu haben.
Die kuscheligen 28 Grad (Kinder brauchen es warm, die müssen wachsen – kennt man ja aus Gewächshäusern!) stimmten mich also schon auf eine wundervolle Fahrt ein. Der Sohn, der mit Wollmütze neben mir sitzt und in Wahrheit ein Mädchen ist, wie sich mir später erschloss packte auch gleich die Grillwürstchen aus. Die Familienpackung Wiener verteilte sich nicht nur geruchstechnisch im Abteil sondern wurde natürlich mit der restlichen Familie geteilt.
Meine äußerst intellektuell anmutende Sitznachbarin gegenüber bestätigte auch gleich meine Oberflächlichkeit, indem sie kurzer Hand ihre LIFT-Apfelschorlenflasche als Mittelpunkt eines Shootings mit ihrem 3er iPhone mit Tigeroptik inszenierte. Wenigstens bleibt sie beim Apfel.
Ich versuchte mich also konzentriert auf meine Lektüre zu stürzen, als Mutter und Sohn das Abteil verließen und besagte Tochter anfing sich mit sich selbst zu unterhalten. Warum auch immer versuchte ich Blickkontakt mit der Apple-affinen Katzenberger von gegenüber aufzunehmen, um zu bestätigen, dass das nicht nur ein schlechter Scherz sondern nach 20 Minuten Fahrt einfach zu viel des Guten war.
Vergeblich. Als der Teenie dann neben dem Selbstgespräch auch noch eine Performance der besonderen Art vorführte (ich mag Cover, aber ich gehöre einfach nicht zur Zielgruppe von Caspar und Co!) wollte ich schon meinen bezahlten Sitzplatz gegen den Fußboden im Gang eintauschen. Aber ich hatte Glück, denn sie verließ auf einmal das Abteil, um sich vor die Scheibe im Gang zu stellen und sich Fingern schnipsend in der Spiegelung der Scheibe zu begutachten. Selbstkritik ist bei einer Choreographie alles!
Mutter und Sohn kehrten von ihrem Rundgang zurück und packten zu meiner Freude den Curryketchup und die Frikadellen aus. Ich kann es wirklich nachvollziehen, dass man nach einer Stunde Fahrt (vielleicht auch 2, wenn sie schon seit Kiel im Zug sitzen) völlig ausgehungert und zu Tode gelangweilt ist. Aber nicht im meiner Nähe bitte!
Während im Hintergrund Mini-Eminem probt, werden im Abteil von der anderen Hälfte der Chromosomen-Mischung die aktuellen Horoskope vorgelesen. Krebs – heute ist Ihr bester Tag! Der Nachmittag bringt Ihnen Freude auf der Arbeit und Sie können etwas voran treiben. Ihren Abend verbringen Sie mit Kindern. – Ich mache keine Witze! Ich verkneife mir ein hysterisches Kichern.
Ich möchte eigentlich die ganze Zeit fragen „Haben Sie die schon länger? Wenn nicht, dann haben sie sicher ein Rückgaberecht und wenn sie die online gekauft haben, dann sogar 4 Wochen lang!“ Aber ich halte mich zurück, verzichte auf diese Zusatzinformation und notiere mir im Geiste, dass wenn unsere Kinder wider aller Erwartungen so werden sollten, wir niemals mit ihnen Zug fahren.
Immerhin ist jetzt schon eine Stunde rum – ich habe nur noch knappe 3 Stunden vor mir bis zum Zugwechsel und ich kann auch nur zwei Rucksäcke erkennen in denen sich eventuell noch Brote mit Harzer-Rolle oder die Bifi-BigBox verstecken könnten.
Erkenntnis des Tages:
Ich hätte vorhin definitiv mehr Prosecco trinken sollen! Und ich freue mich unendlich auf meine geliebte Frau, meinen Löwen. Meine tollen Schwiegereltern und das Wochenende!
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