Archiv der Kategorie: Home

Kleider machen Bräute

So fühlt es sich also an: die Verstofflichung der Gedanken im wahrsten Sinne des Wortes.

Da saß ich nun also gestern abend tatsächlich in den Altbau-Räumlichkeiten einer Schneiderin und hielt das erste Mal ein Stück Stoff in der Hand, das in einem halben Jahr hoffentlich für Schnappatmung oder zumindest einem breites Grinsen bei meiner Zukünftigen sorgen wird. Das Hochzeitskleid. Dass ich mir allerdings dort einmal derart intensive Gedanken drüber machen würde und es auch noch mit einem ständigen, leicht grenzdebilen Grinsen tun würde, hätte ich wirklich nicht gedacht. Aber hey, manchmal lernen eben auch Fische das Fahrrad fahren.

Zurück aber zum Geschehen. Mit Begriffen um sich werfend wie – Gott, ich kann die noch nicht einmal wieder geben – entstand vor ihrem geistigen Auge nun also ein Kleid. Ich war allerdings versucht, für jeden Begriff, den ich nicht verstand, ihr einfach ein Marketingwort entgegen zu schleudern: „und dann lassen wir es unten in Godet-Form auslaufen“ – jaja, Below-the-Line-Marketing, „oder wir nehmen Doupion-Seide…“ – ha, ich nehm nen TKP – Touché!

Mein Grinsen wurde also mit jeder Minute breiter, in der das Kleid in ihrer Fantasie wuchs. Wagen wir also an dieser Stelle einen Kopfsprung – oder eher eine Arschbombe – mitten in die Klischeekiste: Da werde ich nun also in nicht allzu ferner Zeit auf einem geschmackvoll aufgearbeiteten Sofa sitzen und mit Muddi (denn die darf natürlich nicht fehlen) und meiner Schneiderin beraten, in welches Kleid ich mich nun also stecken lasse. Meine Mum wird mir sämtliche Farben des Regenbogens vorschlagen (vornehmlich orange), die Schneiderin wird versuchen, so viel Avantgarde wie möglich in meinem Kleid unterzubringen und ich werde versuchen, nachher nicht wie eine kleines Bonbon auszusehen.

Wir lassen uns überraschen 🙂

Werbung

Fuck that shit! I am going to Narnia

Was kann einen erfolgreichen Freitag, an dem man mal wieder alles aus seinen Kunden und dem eigenen Portfolio geholt hat, noch so richtig versüßen?

Richtig, eine Reise mit der Deutschen Bahn!

Man bemüht sich natürlich die Projekte so zu finalisieren, dass sowohl der Kunde als auch man selbst beruhigt, glücklich und vor allem zeitnah ins Wochenende starten kann, denn vor einem liegen, so glaubt man, 5 1/2 Stunden purer Entspannung in denen man noch ein mal über Briefings und Abschlüsse sinniert, das Hörbuch weiter als 5 Minuten hört, natürlich im Skript der Uni blättert und fleißig unterstreicht und gemütlich von einem Ort zum nächsten geschaukelt wird.

Versucht man selbst auch enge Timings zu halten, so ist das der Bahn ziemlich schnurz! Das ist nichts Neues. Man schlürft also noch eben mit den Kollegen den freitägigen Prosecco, um dann im Eiltempo zum Bahnhof zu rennen. Man füllt den Getränke- und Essensvorrat auf, kauft sich eine schlaue Zeitung, die man eh nicht lesen wird, weil man ja wie bereits erwähnt andere essenzielle Dinge vor hat und drängt sich durch die Massen gesichtsloser Touristen, die, völlig überwältigt von der Glanzleistung des Bahnhofsarchitekten, an die Decke glotzen. Endlich erreicht man das rettende Gleis und darf dort feststellen, dass man wieder auf die andere Seite und somit zu einem anderen Gleis muss. Bis hierhin ist alles recht unspektakulär, wenn auch schweißtreibend.

Die Bahn kommt, zu spät, aber sie kommt. Die Massen und Gerüche mit ihr. Die Ähnlichkeit meines ICEs mit der U3 an einem Samstag gegen 3Uhr ist verblüffend. Ich schließe mich also schnell in meinem Abteil ein wo auch schon eine alleinerziehende (über das mit dem Erziehen lässt sich bekanntlich streiten) Mutter mit ihren beiden Söhnen auf mich wartet. Ebenso erfreulich ist die Blondine, die mit ihrem iPad Mini mir gleich gegenüber sitzt. Ich mache es mir bequem und freue mich über meine Entscheidung, das Haus heute morgen nur mit einem Pulli verlassen zu haben.
Die kuscheligen 28 Grad (Kinder brauchen es warm, die müssen wachsen – kennt man ja aus Gewächshäusern!) stimmten mich also schon auf eine wundervolle Fahrt ein. Der Sohn, der mit Wollmütze neben mir sitzt und in Wahrheit ein Mädchen ist, wie sich mir später erschloss packte auch gleich die Grillwürstchen aus. Die Familienpackung Wiener verteilte sich nicht nur geruchstechnisch im Abteil sondern wurde natürlich mit der restlichen Familie geteilt.

Meine äußerst intellektuell anmutende Sitznachbarin gegenüber bestätigte auch gleich meine Oberflächlichkeit, indem sie kurzer Hand ihre LIFT-Apfelschorlenflasche als Mittelpunkt eines Shootings mit ihrem 3er iPhone mit Tigeroptik inszenierte. Wenigstens bleibt sie beim Apfel.
Ich versuchte mich also konzentriert auf meine Lektüre zu stürzen, als Mutter und Sohn das Abteil verließen und besagte Tochter anfing sich mit sich selbst zu unterhalten. Warum auch immer versuchte ich Blickkontakt mit der Apple-affinen Katzenberger von gegenüber aufzunehmen, um zu bestätigen, dass das nicht nur ein schlechter Scherz sondern nach 20 Minuten Fahrt einfach zu viel des Guten war.
Vergeblich. Als der Teenie dann neben dem Selbstgespräch auch noch eine Performance der besonderen Art vorführte (ich mag Cover, aber ich gehöre einfach nicht zur Zielgruppe von Caspar und Co!) wollte ich schon meinen bezahlten Sitzplatz gegen den Fußboden im Gang eintauschen. Aber ich hatte Glück, denn sie verließ auf einmal das Abteil, um sich vor die Scheibe im Gang zu stellen und sich Fingern schnipsend in der Spiegelung der Scheibe zu begutachten. Selbstkritik ist bei einer Choreographie alles!

Mutter und Sohn kehrten von ihrem Rundgang zurück und packten zu meiner Freude den Curryketchup und die Frikadellen aus. Ich kann es wirklich nachvollziehen, dass man nach einer Stunde Fahrt (vielleicht auch 2, wenn sie schon seit Kiel im Zug sitzen) völlig ausgehungert und zu Tode gelangweilt ist. Aber nicht im meiner Nähe bitte!

Während im Hintergrund Mini-Eminem probt, werden im Abteil von der anderen Hälfte der Chromosomen-Mischung die aktuellen Horoskope vorgelesen. Krebs – heute ist Ihr bester Tag! Der Nachmittag bringt Ihnen Freude auf der Arbeit und Sie können etwas voran treiben. Ihren Abend verbringen Sie mit Kindern. – Ich mache keine Witze! Ich verkneife mir ein hysterisches Kichern.

Ich möchte eigentlich die ganze Zeit fragen „Haben Sie die schon länger? Wenn nicht, dann haben sie sicher ein Rückgaberecht und wenn sie die online gekauft haben, dann sogar 4 Wochen lang!“ Aber ich halte mich zurück, verzichte auf diese Zusatzinformation und notiere mir im Geiste, dass wenn unsere Kinder wider aller Erwartungen so werden sollten, wir niemals mit ihnen Zug fahren.

Immerhin ist jetzt schon eine Stunde rum – ich habe nur noch knappe 3 Stunden vor mir bis zum Zugwechsel und ich kann auch nur zwei Rucksäcke erkennen in denen sich eventuell noch Brote mit Harzer-Rolle oder die Bifi-BigBox verstecken könnten.

Erkenntnis des Tages:
Ich hätte vorhin definitiv mehr Prosecco trinken sollen! Und ich freue mich unendlich auf meine geliebte Frau, meinen Löwen. Meine tollen Schwiegereltern und das Wochenende!

Von Hannelore bis Lady Di

Da sitzt man nichts ahnend im Regio auf dem Weg nach Hamburg, der Tag schon sehr lang, die Fahrt noch länger, die Laune prächtig.

Und da geschieht es wieder: trotz riesen „fuck off“ auf der Stirn und strategisch sinnvoll platzierter Laptoptasche lässt sich neben mir nun die blondiere Endvierzigerin nieder. Nennen wir sie Magdalena.
Der Sechser im Lotto…
Und dann kommt die Zusatzzahl: nennen wir ihn Frank. Der Gute ist Anfang 50 und tätig in der hiesigen Versicherung, macht ein bisschen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Und Frank möchte plaudern. Das findet Magdalena super.

Ich verkrieche mich dann mal hinter meinem Steven King Roman. Aber nichts da! Obwohl gerade von epileptischen Anfällen, vollurinierten Hosen und panischen Menschen die Rede ist, schweifen meine Ohren und schließlich meine Aufmerksamkeit zu dem platonisch-innigen Pärchen zu meiner linken.

Zur Erklärung: Redeanteil Magdalena 99%, Frank 1%, was sich eigentlich auf gelegentliches „Hm“ beschränkt, natürlich ein total verständnisvolles „Hm“!

Der Seelenstriptease nimmt seinen Lauf.
Nach 5 Minuten: Magdalena erzählt praktisch dem ganzen Waggon von ihrer Affäre mit ihrem nun wieder verheirateten Ex-Mann (jaja, Schuster, bleib bei deinen Leisten). Mir fällt fast das Buch aus der Hand.
Nach 7 Minuten (die Frau redet schnell): es geht weiter mit dem Vergleich ihres vergangenen Ehelebens mit Lady Di und Hannelore Kohl – ich glaube jedoch, dass in Magdalenas Geschichte die Hauptfiguren noch leben…
Nun fallen mir vor Schreck fast die Kontaktlinsen aus den Augen. Wofür ich eigentlich dankbar bin, vielleicht kann man die in die Ohren stopfen.
Nach 10 Minuten: die Vertrauensbasis zwischen Magdalena und Frank scheint nun mehr als innig, es wird also Zeit für wichtige private Geständnisse.
Sie stellt sich nun bildlich und sprachlich vor, wie ihr Leben als Gala-Artikel aussehen würde. Welcher Promi sich da noch eine Scheibe von abschneiden könnte und wer sowieso eigentlichen nix drauf hat.

Ich kapituliere fast, das ist schlimmer als „Mitten im Leben“ mit Frau von der Leyen als Hauptdarstellerin.
Doch dann kommt der beste Satz, gerade als ich meine Buchseiten herausreißen und als Oropax benutzen wollte…
Magdalena:“hach, wenn Sie, lieber Frank, irgendwann mal ihre Memoiren schreiben, gibt es sicher ein Kapitel über unsere Begehung im Zug.
Und überhaupt… wie verrückt wäre das, stellen Sie sich mal vor, wenn jemand die Geschichten aus der Bahn aufschreiben würde.“

Vom Idealen und den Idealen

Es ist in etwa so wie die Grundsatzfrage am Sonntag morgen: süß oder herzhaft? Bestreiche ich mein Brötchen zärtlich mit einer nicht allzu dicken Schicht Nutella oder brate ich mir doch eher das ordentliche Spiegelei, in der Mitte noch weich – versteht sich von selbst.

Aber anstelle sich zu fühlen wie das Gelbe vom Ei, ist es eher die weiche Konsistenz der Mitte, mit der eine Identifikation zum gegenwärtigen Zeitpunkt an wahrscheinlichsten erscheint.
Nach einer ereignisreichen Weltreise fühlte man sich nun endlich angekommen im Traumjob. Locker ein paar hundert Bewerber ausgestochen und somit breit grinsend einen riesen Schritt ins Berufsleben gemacht, erschien mir doch alles rosiger als der Schonbezug meiner Großmutter.
Und dann merkt man, dass A nicht gleich A ist und B schon eher wie Y denn wie C. Wovon ich rede? Das weiß ich oft selbst nicht so genau…
Vom schnöden Mammon, der breit grinsend hinter dem nächsten Gehaltsscheck lockt, ebenso wie die Aussicht auf eine steile Karriere. Große Autos und noch größere Wohnungen sind eine feine Sache. Die Liebste mit Geschmeide und Schuhen überhäufen ist auch wirklich nicht zu verachten.
Da ist es, das Ideale. Der Lebensweg, wie er immer erträumt wurde, nun nicht nur greifbar, sondern schon in Geruchsnähe.
Und dann kommt die Frage, ob man die schwere Süße des Chanel-Parfums wirklich auf seiner Haut haben will oder lieber in der Parfümerie auf dem obersten Regal bewundert.

Denn da wären ja noch die Ideale.
Was ist, wenn man anstatt in geraden Linien lieber in geschwungenen Kreisen denkt?
Wenn die Aufmerksamkeit am Schreibtisch nicht der Excel-Tabelle gilt, sondern der richtigen Schatten unter der fancy Überschrift in der Powerpoint-Präsentation.
Wenn man sich daran erfreut, zum fünften Mal die Rückseite der Kaffeepackung lesen zu können, bevor man wieder den Kopfsprung in die nächste Zahlenkolonne wagen muss – wobei man doch viel lieber die Arschbombe auf dem nächsten Plakat landen würde.

Auf meiner Schulter sitzt sicher kein Engelchen oder Teufelchen. Eher das bräsige, etwas dickliche Nutellaglas mit der Schreibfeder in der Hand und das frisch gebratene Spiegelei mit dem kleinen Taschenrechner.
Macht keinen Sinn? Macht nix. Macht es oft nicht.

Denn die Grundfrage bleibt – dem Idealen folgen oder die Ideale von der Leine lassen?

Vielleicht können sich auch beide am Ende des Tages die Hand geben.
Nicht natürlich, ohne sich vorher kräftig in die Handflächen zu spucken und dabei breit zu grinsen in dem Glauben, der andere habe den herrlich gelben Fleck auf der Innenseite nicht bemerkt.

Überfordert und unterschätzt.

Artikel über meine Generation gibt es viele. Die Alten lassen sich über die Jüngeren aus, die Jüngeren analysieren ihresgleichen und die Jüngsten verstehen die Aufregung nicht.
Und eigentlich bin ich so politisch und gesellschaftskritisch wie ein Gartenzwerg. Aber manchmal muss man eben Partei ergreifen – in diesem Fall für die eigene Generation.

Da wacht man morgens auf, greift zum iPhone neben sich, um die lebenswichtigen Neuigkeiten der Facebookfreunde zu studieren, die sich ganz bestimmt zwischen 02:00 Uhr und 08:00 Uhr ereignet haben.
Und dann springt mir dieser Artikel der „Zeit“ ins Auge: „Generation Maybe hat sich im Entweder-oder verrannt“. Über eben meine Generation. Die ohne Eigenschaften, aber gut ausgebildet, die mit den Möglichkeiten, aber ohne Mut.
Ich selber würde uns als „Zwischengeneration“ bezeichnen. Wir kennen den iPod und die Kassette, wir haben keinen Krieg erlebt, können aber unsere Großeltern fragen. Die Generation vor uns ging auf die Straße, die Generation nach uns bleibt im Fernsehsessel sitzen.

Da sind wir also. Den Uniabschluss in der Tasche, das Leben vor uns. Ganz ehrlich, da kann man schon mal weiche Knie bekommen. Aber nicht, weil wir ja so wahnsinnig viele Möglichkeiten haben, aus denen wir wählen können, sondern weil der Kampf scheinbar immer noch nicht vorüber ist. Bestens ausgebildet, mit Erfahrungen durch Praktika, die alleine schon eine Seite des Lebenslaufs füllen (aber laut einstimmiger Meinung der Personaler nicht länger als zwei Seiten sein dürfen), mit Auslandsaufenthalten und fließendem Englisch, Französisch und Ironisch – die ganz begabten haben auch noch Sarkastisch im Programm.
Und dann bewerben wir uns um den Traumjob, denn schließlich haben wir ja lange genug die Schulbank gedrückt. Und dann geht das ganze Theater von vorne los! Man fühlt sich wieder in die Zeit zurück versetzt, als man den NC ausrechnete und insgeheim hoffte, dass der Banknachbar ein dezent schlechteres Abi schreibt, um nicht die eigenen Chancen zu minimieren.

Und jetzt?! Die Bewerbung in Papierform, in der man vielleicht noch ein interessantes Deckblatt gestalten könnte, um sich mit einem schimmernden neon-beige aus der grauen Masse der 400 Mitbewerber hervorzuheben, gibt es nicht mehr.
Wir sitzen vor einer Website und geben nüchtern unsere Lebens- und Erfahrungsdaten in die dafür vorgesehenen Felder ein – für einen Beruf, der laut Ausschreibung Kreativität und Persönlichkeit erfordert. Und welch Ironie, wenn anschließend die firmeneigenen Suchmaschine die Bewerber aufgrund von Noten oder fehlenden Praktika aus dem Prozess kickt.
Sollte man dann doch zu den Glücklichen gehören, darf man sich freuen, gleich wieder in die nächste Prüfungssituation gebeten zu werden. Nun einen online-Test absolvieren, denn die eierlegende Wollmilchsau soll bitte auch noch perfekt in Mathe, Deutsch, logischem Denken und Textverständnis sein – die Persönlichkeit wird mittels standardisiertem Fragebogen abgefragt.
Dies durchlebt, darf man endlich mit einem Menschen sprechen – am Telefon. Mimik und Gestik, das eigene Auftreten oder der persönliche Kontakt werden zugunsten von Effizienz ganz nach hinten in die Reihe gestellt. Aber nein, nicht der Lebenslauf ist nun interessant, nicht der Mensch, sondern die Fähigkeit, die eigenen Punkte der bisherigen Karriere zu versprachlichen.
Und sollte man diese Hürde genommen haben, kommt das Assessment Center. Wieder kein Gespräch zwischen Bewerber und Personaler. Survival of the fittest at its best: Case Studies, Selbstpräsentationen und Postkorbübungen.

Und da fragt sich der geneigte Reporter wirklich, warum wir lieber eine Weltreise machen?

Abgesehen von Fluchtgedanken und Co. machen wir solche Reisen aus drei Gründen:
Erstens: weil wir’s können! Denn wir haben das Glück, mit Eltern gesegnet zu sein, die uns solche Dinge ermöglichen. Die uns fördern und unterstützen. Die ältere Generation konnte das oft nicht, andere Dinge hatten größere Priorität. Aber wir können und wir wollen.
Denn, zweitens: wir sind nicht nur gut ausgebildet, sondern wollen auch über den Tellerrand schauen. Denn was für den einen Betrachter die Flucht vor dem Alltag ist, ist für den anderen die Möglichkeit, sich die ganze gedeckte Tafel anzusehen.
Und der dritte Grund: damit ein Personaler vielleicht doch mal das Individuum sieht, das mehr zu erzählen hat, als der Erfahrungen aus den Praktika.

In diesem Sinne:
Meine Generation ist nicht müde oder eigenschaftslos. Sie braucht nur hin und wieder eine Verschnaufpause vom alltäglichen Bürokrieg.

Raindrops are falling on my head…

Es gibt sie immer. Diese eine Person. Diese eine Person im Hostel. Diese eine Person im Hostel, die die Säge in der Hand hält – und dabei kontinuierlich an deinen Nerven sägt!
In unserem Fall heißt sie Christine. Naja, eigentlich Christina, aber ihr Vater war während der Namensgebung so betrunken, dass er anstatt eines „a“s ein „e“ ins Formular kritzelte. True Story! Denn Christina mit e erzählt diese Geschichte gleich am ersten Abend jedem. Naja, eigentlich nur ihren Tischgenossen, bei denen ebenfalls zu vermuten war, dass da in der in Kindheit auch mehr als nur die Namensgebung falsch gelaufen ist (wir tippen ja auf ein Feststecken in der analen Phase… Freud würde leuchtende Augen bekommen bei solchen Musterbeispielen…). Jedenfalls sprach unsere Nervensäge vom Nachbartisch mit einer drei Oktaven zu hohen und 50 Dezibel zu lauten Stimme, sodass ein weghören schier unmöglich war.
Christine gehört zu der Sorte Mädchen/Frauen „blond, klein, braun gebrannt (da war sicher auch schon das Solarium vorher im Spiel…) und dem IQ des Käse-Tomaten-Sandwiches, welches wir zu Abend hatten“.
Natürlich war das auch den jungen männlichen fijianischen „Animateuren“ des Hostels aufgefallen. Wir würden auf drei bis fünf Affäre in der letzten Woche tippen. Aline kam auf drei, angesichts der drei Jungs, die ständig unverhohlen ihre Hände an ihrem Körper hatten. Ich tippte auf fünf, da zwei weitere Herren der Schöpfung die ganze Zeit beleidigt in der Ecke standen, während die anderen drei ihre amourösen Gefühle durch ihre Hände abzulenken versuchen. So oder so, ein herrliches Schauspiel.
Schön auch die Art, mit der sie, stets mit einer Zigarette bewaffnet und Pünktchen-Spitzen-ohne-Träger-BH bekleidet, durch den Barbereich hüpfte. Naja, es war schließlich heiß und die Strecke zwischen Cokelight-Automat und ihrem iPhone auf dem Tisch hätte durchaus schnell zu einem adhoc-Nikotinentzug führen können.
Und sollte es dann doch mal passieren, dass einer der Jungs ihr nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, legte sie sich eben kurzerhand auf den Holztisch in der Sonne und räkelte sich ein wenig. Wie gesagt, es war auch schließlich heiß.

Nach der Bewunderung dieses Schauspiels ging es ein paar Tage später von Nadi nach Suva. Eigentlich war noch ein Abstecher auf eine Nachbarinsel geplant, damit uns bei weiteren Kitestunden das fiese Sportgerät wieder nach Herzenslust durchs Wasser schleifen konnte… Aber nun ja, es kommt, wie es kommt… Und hier kam die Regensaison. Was bedeutet, nicht ein paar Schauer am Tag, sondern 24/7 Tropenregen, unterbrochen durch ein paar Minuten durchatmen. Jedenfalls könnte man durchatmen, wenn nicht gefühlte 500% Luftfeuchtigkeit wären. Wir haben schon überlegt, für unsere nächste Wäsche einfach die Sachen einzushampoonieren und rauszustellen. Das Blöde nur: wir kriegen das Zeug hier nicht wieder trocken. Jedenfalls schlafen wir seit Ankunft stets in kuschelig feuchten Laken. Achja, und ich sehe auf dem Kopf aus, als wäre ich einer misslungenen Königspudel-Zucht entsprungen. Fönen habe ich lange aufgegeben und auch Aline findet sich so langsam mit ihrer Klebefrisur ab (für diesen Satz wird sie mich hassen 😉 ).

Aber Fijianer sind toll! Nur nicht die aller schnellsten. Auf Madagaskar gab’s schon „Mura Mura“, aber hier gehen die Uhren eher rückwärts als langsam…“Fijitime“ nennen die Einwohner das hier. Seit Tagen versuchen wir herauszufinden, wann genau die Fähre nach Kadavu geht (wo es uns ab Mittwoch hinverschlagen wird). Leider hat die Reederei nicht mal eine Internetseite, geschweige denn irgendwelche Kontaktdaten. Das einzige, was man als Info bekommt ist „Mittwoch Abend“. Ahhhhja… Wir gehen laut unseren letzten Informationen von 23:00 Uhr aus. Aber nach deutscher Manier werden wir wahrscheinlich spätestens um sechs Uhr am Hafen sein…
Jedenfalls sehen fijianische Männer nicht schlecht aus. Im Gegensatz zu den Frauen. Da sehen, ehrlich gesagt, die transsexuellen Männer besser aus. Die Grenzen sind hier teilweise auch fließend, da ein mindestens knielanger Rock hier ein vollkommen normales Kleidungsstück für den urbanen Mann ist. Selbst Polizisten am Flughafen trugen weiße Röcke und schwere schwarze Militärstiefel… Naja, rote Pumps hätten wahrscheinlich noch seltsamer ausgesehen…

Erkenntnis des Tages: hier ist es nass. Sehr nass. Das nächste Mal ignorieren wir vielleicht nicht die dezenteren Hinweise des Reiseführers… Nichtsdestotrotz, die Insel ist schön. Jetzt suchen wir nur noch den weißen Sandstrand!

20130303-222606.jpg

Kugelmenschen

Da gibt es die Geschichte des Mannes, dessen Frau stirbt. Ihr war dies bewusst, viele Ärzte hatten bereits den Countdown des Unvermeidlichen eingeläutet.
Am Krankenbett gab sie ihrem Mann eine Liste. Eine Liste mit 365 Dingen. Eine Tat für jeden Tag, eine Aufgabe alle 24 Stunden.
Die Liste begann mit dem Folgetag ihres Todes. Von Dingen wie „schreibe einen Brief an deinen besten Freund Herbert und erzähl ihm den besten Witz, den du kennst, bis „fahr nach München und iss eine Brezel“ war alles vertreten. Der letzte Tag dieser Liste enthielt die Aufforderung, ihre sämtlichen Sachen zu verbrennen und wieder geradeaus in die Ferne zu blicken.

Eine andere Geschichte handelt von einem Mann, der seiner Frau jedes Jahr zum Valentinstag einen Strauß Rosen schenkt, immer mit einer Karte und den Zeilen „meine Liebe wächst“. Nach seinem Tod vergaß die Frau diese Geste. Bis zum Valentinstag, als ein Blumenbote mit einem Strauß Rosen vor der Tür stand. Als sie ihn für diesen vermeintlich rüden Scherz anschreien wollte, teilte dieser ihr mit, dass ihr Mann bereits für viele Jahre im voraus den Lieferdienst bezahlt hatte. Sie schaute auf die Karte, sie trug die Worte „meine Liebe ist unendlich“.

Und dann gibt es dort diese dritte Geschichte. Wieder von einem Mann und einer Frau. Eine normale Ehe. Ein riesiger Blumenstrauß zum Hochzeitstag, eine Überraschungsparty zum 40. Geburtstag. Kleine Neckereien hier, kleine Streitereien dort. Er schlägt gerne mal über die Strenge, so wohl mit Worten, als auch beim Essen. Sie bringt ihn durch ihr charmantes Chaos gerne mal zur Weißglut.
Aber er ist da, wenn es ernst wird. Er ist da, als sie krank wurde, und er ist da, als sie Genesung feiern konnten. Und auch heute noch steht er dort. Immer bereit, ein wenig zu viel kontrollieren zu wollen, aber dabei so voller Liebe, dass ihn die Familie so gut es geht gewähren lässt.

Warum solche Worte auf unserer Seite?

Weil das letzte Paar meine Eltern sind. Von ihnen habe ich nicht nur Geld mit auf die Reise bekommen. Sondern das Bild von zwei Menschen, die immer noch beieinander stehen. Füreinander, miteinander.
Und sollte ich mein Leben mit Aline so zu meistern in der Lage sein, können wir uns glücklich schätzen.

Danke!
Ich freue mich drauf!

Zwölfter Neunter

Seit dreihundertfünfundsechzig Tagen waren wir kaum mehr als drei aufeinanderfolgende Tage vom anderen getrennt und in den letzten 58 Tagen haben wir es, wenn es hoch kommt mal auf eine knappe Stunde gebracht. Und in all diesen Tagen gab es nie auch nur einen Moment in dem wir nicht geredet haben, keinen in dem wir uns anschweigen mussten. Wir reden auch wenn wir nichts sagen. Wir verstehen uns auch wenn wir nichts sagen.

In den letzten zwei Monaten flogen, fuhren, liefen, ja reisten wir und schliefen fast jeden Abend in einem anderen Bett nebeneinander ein und dennoch fühle ich mich angekommen wie noch nie zuvor.

Ich kann abends stundenlang wach liegen, doch sobald ich mich an dich kuschle schlafe ich ein. Ich kann innerlich panisch sein, weil wir inmitten einer Großstadt ohne Navi stehen und mir reicht ein Blick zu dir rüber und ich werde ruhiger. Ich möchte im Fitnessstudio die Gewichte gern aus dem Fenster werfen oder beim Crosstrainer bei der Zeit schummeln und mache es nicht, weil ich dich beeindrucken möchte. Wenn ich beim Joggen schon eher den Rückweg antrete, dann bleibe ich an der Abzweigung stehen und warte auf dich, weil ich weiß, dass du meist schneller als dein Orientierungssinn bist. Ich geb dir vom Käsekuchen am Liebsten das erste Stück, weil ich weiß, das es das beste ist. Ich kann mich stundenlang wie ein kleines Kind freuen, weil ich beim Einkaufen im australischen Supermarkt eine kleine Packung Kinderschokolade für dich gefunden habe. Ich lasse dich an die Decke springen und maulig sein, weil du mein Knurzel bist.

20130109-171612.jpgEin Jahr. Für die, die schon im zweiten sind ein Kinderspiel. Für die, die noch weiter sind fast gar nicht mehr der Rede wert. Für uns ist dieser Tag aber noch immer so aufregend wie der erste und deshalb stoßen wir jetzt mit gekühltem Sparkling im Elternhaus der französischen Hauptstadt auf uns an.

Erkenntnis des Tages: auch mit dem AOK-Schopper werde ich noch an jeder Kreuzung auf dich warten und freue mich darauf mit dir die Kukident zu teilen.

Erste Zwischenbilanz

Nun sind die ersten anderthalb Monate fast vorbei. Jetzt wäre so die Zeit, aus einem längeren Urlaub zurück zu kehren. Für uns geht es jedoch weiter zum nächsten Kontinent. Aber, so auf dem unheimlich gemütlichen Bett sitzend und dabei in den blauen Himmel von Johannesburg schauend, kann man auch mal ein kleines Zwischenfazit ziehen.
Zwei Länder haben wir nun kennen gelernt. Eines, in dem eine Kluft innerhalb der Gesellschaft zu jeder Sekunde spürbar ist. In dem Armut und Reichtum manchmal nur wenige Straßen voneinander entfernt liegen. Ein Land, das wir mit offenen Augen erkundet haben, was uns sich jedoch nur bis einem gewissen Grad eröffnet und geöffnet hat.
Ein anderes Land, dessen Armut uns bekannt, jedoch nicht derart bewusst war. Eines, das uns unseren Luxus und diverse Selbstverständlichkeiten vor Augen geführt hat, ohne es uns ins Gesicht zu sagen oder uns vorzuwerfen. Einfach eine Selbstverständlichkeit der Einfachheit, die beeindruckte, erstaunte, verwirrte, verunsicherte und bewusst machte.

Aber abgesehen von den vielen unterschiedlichen Eindrücken, die beide Länder für uns bereit hielten, hatten sie doch eines gemeinsam: Sonne!
Für einen Europäer kurz vor Weihnachten ist dies einfach nur ein äußerst befremdliches Wetter. Die Australier bekommen gerade Sommerferien. Sommerferien! Weihnachten in den Sommerferien! Alte dunkelhäutige Männer in kurzer Shorts, angeklebtem Bart und roter Zipfelmütze. Santa wäre sicher stolz auf eine solche Vielfalt … Wir jedoch vermissen ein wenig den von Coca Cola Anfang der 30er ins Leben gerufenen dicken alten Mann mit rotem Anzug und Rauschebart. Außerdem sehen Lichterketten in Palmen wirklich seltsam aus…
Und der Schnee… Wären wir in Deutschland, würden wir meckern. Aber Freunde, es muss halt eben alles seine Ordnung haben! Ich laufe ja auch nicht an Ostern im Bikini durch die Gegend…

Und dann ist da natürlich das noch: anderthalb Monate, 24 Stunden beieinander. Anderthalb Wochen abwechselnden Dauerdurchfall, schlechte Laune und Dünnhäutigkeit wechselten sich mit Schreckhaftigkeit ab – Malarone sei dank. Und trotzdem waren es fantastische anderthalb Monate. Ausnahmslos dem Credo folgend „es darf immer nur einer panisch werden“, konnten wir alles meistern. Gab es Dinge, die störten, wurde darüber geredet. Gab es Dinge zu teilen, wurde darüber geredet. Lag jemandem etwas auf der Seele, wurde geredet. Wurde der zweite auch panisch – wurde sich zusammen gerissenen und das dezent verschwiegen.
Und jetzt sehe ich hinab auf Aline, wie sie nichtsahnend über diesen Artikel auf meinem Bauch liegt und ständig ein bereites Grinsen aufgrund irgend eines drittklassigen Amifilms auf den Lippen hat. Die Frau, die mir immer noch nicht auf den Keks geht. Bei der ich mich immer noch unsagbar freue, abends neben ihr zu liegen, auch wenn es die 90cm Liege in irgend einer abgeranzten Hostel-Butze ist.
Ich vermisse meine Familie und meine Freunde wirklich oft. Ich weiß, sowas macht man nicht auf Weltreisen, aber ich bin eben ein kleines Weichei. Und ich freue mich jede Minute, diese Reise mit dieser tollen Frau zu machen!

Erkenntnis des Tages: tolle Frau, tolle Freunde und tolle Familie Zuhause und ein echt beschissener Film im Fernsehen! – Und ich weiß, Aline wird beim Lesen Pipi in den Augen haben 😉

Teure Reise, tolle Sponsoren und ein traumhafter Start

Eine umfangreiche Zahnbehandlung inklusiver neuer Brücken, Beläge (ah ne, die müssen ja eher runter) oder wie das ganze Zeug heißt, kann nicht viel teurer sein als so eine lustige Weltreise. Zugegeben, der Vergleich kam mir nur, weil ich heute morgen den Vor-Reise-Zahnarzt-Checkup hinter mich bringen musste. Nächtelang wieder nicht geschlafen, also mit Augenrändern versehen und Händen, nasser als nach einem Vollbad, nun also zum Zahnarzt. Und dann ist alles in Ordnung, ich konnte also nicht mal mehr ein Spielzeug für die tagelangen mentalen Strapazen abgreifen…

Zurück zum Thema! So eine Weltreise ist teuer. Und da wir gerne unsere daraus entstehenden Schulden abbezahlen wollen, bevor wir unsere Rente dafür auch noch opfern müssen (Altersvorsorge, Kinder!), mussten wir uns was einfallen lassen. Not macht erfinderisch, wobei, zugegeben, das ist schon Jammern auf hohem Niveau. Jedenfalls haben wir uns auf unsere Fähigkeiten besonnen. Die sind bei Marketing-Menschen wie uns dann doch eher – nennen wir es… spezifisch. Denn wir können reden (und ein kleines bißchen schreiben). Also Kühlschränke in der Arktis verkaufen, eine Präsentation halten, die wir nie vorher gesehen haben oder alten Frauen unnötige Lottoabos verkaufen (hey, ich war jung, brauchte das Geld und hab’s auch nach zwei Monaten wieder an den Nagel gehängt – RTL Explosiv stürmte auch das Büro und wollte ein Interview mit dem Geschäftsführer wegen dessen dubioser Machenschaften…)
Jedenfalls sind wir so auf die Idee gekommen, dass man ja auch Firmen, Zeitschriften und Co. von unserem Blog erzählen kann. Werbung verkaufen finden wir toll, Werbung machen eher nicht. Deswegen ging es uns um Unterstützung, wir berichten gerne, testen irgendwelche Dinge oder sonst was. Aber wir würden eher nicht schreiben „kauft Baumwollschlüpper von XY, denn nur damit kann man sich vor einem Bungeesprung so richtig schön in die… “ oke, reicht…

Nie mit irgend einer Resonanz gerechnet, kam prompt ein Tag später eine wahnsinnig liebe Mail einer Mitarbeiterin von „Tatonka“. Ihr wisst, Outdoorsachen, Rucksäcke und knaller Erste-Hilfe-Pakete und so weiter. Und sie hat nicht einfach gesagt, ihr bekommt ein Pflaster. Nein, sie hat gefragt. Was wir brauchen. Wie gut ist das denn?? (Kleine Anekdote: voller Freude schrieb ich davon meinem Dad. Was kommt zurück? Kein „toll Ina“, kein „Mensch, vielleicht kannst du mit dem Geschreibsel mal ein bißchen Geld verdienen“, kein „ich freue mich“. Sondern „ihr Chaoten seid unterwegs, nehmt das Erste-Hilfe-Set!“ So isser, der fürsorgliche Babbah…)

Jedenfalls möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich und mit einem dicken Grinsen, bei dem beide Ohren Besuch von den Mundwinkeln bekommen, bei Tatonka für deren Hilfe bedanken! Einfach eine tolle Geste!


Achja, was haben wir als erstes genommen??? Das Erste-Hilfe-Spezial-Set! 😉