Archiv für den Monat September 2013

Von Hannelore bis Lady Di

Da sitzt man nichts ahnend im Regio auf dem Weg nach Hamburg, der Tag schon sehr lang, die Fahrt noch länger, die Laune prächtig.

Und da geschieht es wieder: trotz riesen „fuck off“ auf der Stirn und strategisch sinnvoll platzierter Laptoptasche lässt sich neben mir nun die blondiere Endvierzigerin nieder. Nennen wir sie Magdalena.
Der Sechser im Lotto…
Und dann kommt die Zusatzzahl: nennen wir ihn Frank. Der Gute ist Anfang 50 und tätig in der hiesigen Versicherung, macht ein bisschen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Und Frank möchte plaudern. Das findet Magdalena super.

Ich verkrieche mich dann mal hinter meinem Steven King Roman. Aber nichts da! Obwohl gerade von epileptischen Anfällen, vollurinierten Hosen und panischen Menschen die Rede ist, schweifen meine Ohren und schließlich meine Aufmerksamkeit zu dem platonisch-innigen Pärchen zu meiner linken.

Zur Erklärung: Redeanteil Magdalena 99%, Frank 1%, was sich eigentlich auf gelegentliches „Hm“ beschränkt, natürlich ein total verständnisvolles „Hm“!

Der Seelenstriptease nimmt seinen Lauf.
Nach 5 Minuten: Magdalena erzählt praktisch dem ganzen Waggon von ihrer Affäre mit ihrem nun wieder verheirateten Ex-Mann (jaja, Schuster, bleib bei deinen Leisten). Mir fällt fast das Buch aus der Hand.
Nach 7 Minuten (die Frau redet schnell): es geht weiter mit dem Vergleich ihres vergangenen Ehelebens mit Lady Di und Hannelore Kohl – ich glaube jedoch, dass in Magdalenas Geschichte die Hauptfiguren noch leben…
Nun fallen mir vor Schreck fast die Kontaktlinsen aus den Augen. Wofür ich eigentlich dankbar bin, vielleicht kann man die in die Ohren stopfen.
Nach 10 Minuten: die Vertrauensbasis zwischen Magdalena und Frank scheint nun mehr als innig, es wird also Zeit für wichtige private Geständnisse.
Sie stellt sich nun bildlich und sprachlich vor, wie ihr Leben als Gala-Artikel aussehen würde. Welcher Promi sich da noch eine Scheibe von abschneiden könnte und wer sowieso eigentlichen nix drauf hat.

Ich kapituliere fast, das ist schlimmer als „Mitten im Leben“ mit Frau von der Leyen als Hauptdarstellerin.
Doch dann kommt der beste Satz, gerade als ich meine Buchseiten herausreißen und als Oropax benutzen wollte…
Magdalena:“hach, wenn Sie, lieber Frank, irgendwann mal ihre Memoiren schreiben, gibt es sicher ein Kapitel über unsere Begehung im Zug.
Und überhaupt… wie verrückt wäre das, stellen Sie sich mal vor, wenn jemand die Geschichten aus der Bahn aufschreiben würde.“

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Vom Idealen und den Idealen

Es ist in etwa so wie die Grundsatzfrage am Sonntag morgen: süß oder herzhaft? Bestreiche ich mein Brötchen zärtlich mit einer nicht allzu dicken Schicht Nutella oder brate ich mir doch eher das ordentliche Spiegelei, in der Mitte noch weich – versteht sich von selbst.

Aber anstelle sich zu fühlen wie das Gelbe vom Ei, ist es eher die weiche Konsistenz der Mitte, mit der eine Identifikation zum gegenwärtigen Zeitpunkt an wahrscheinlichsten erscheint.
Nach einer ereignisreichen Weltreise fühlte man sich nun endlich angekommen im Traumjob. Locker ein paar hundert Bewerber ausgestochen und somit breit grinsend einen riesen Schritt ins Berufsleben gemacht, erschien mir doch alles rosiger als der Schonbezug meiner Großmutter.
Und dann merkt man, dass A nicht gleich A ist und B schon eher wie Y denn wie C. Wovon ich rede? Das weiß ich oft selbst nicht so genau…
Vom schnöden Mammon, der breit grinsend hinter dem nächsten Gehaltsscheck lockt, ebenso wie die Aussicht auf eine steile Karriere. Große Autos und noch größere Wohnungen sind eine feine Sache. Die Liebste mit Geschmeide und Schuhen überhäufen ist auch wirklich nicht zu verachten.
Da ist es, das Ideale. Der Lebensweg, wie er immer erträumt wurde, nun nicht nur greifbar, sondern schon in Geruchsnähe.
Und dann kommt die Frage, ob man die schwere Süße des Chanel-Parfums wirklich auf seiner Haut haben will oder lieber in der Parfümerie auf dem obersten Regal bewundert.

Denn da wären ja noch die Ideale.
Was ist, wenn man anstatt in geraden Linien lieber in geschwungenen Kreisen denkt?
Wenn die Aufmerksamkeit am Schreibtisch nicht der Excel-Tabelle gilt, sondern der richtigen Schatten unter der fancy Überschrift in der Powerpoint-Präsentation.
Wenn man sich daran erfreut, zum fünften Mal die Rückseite der Kaffeepackung lesen zu können, bevor man wieder den Kopfsprung in die nächste Zahlenkolonne wagen muss – wobei man doch viel lieber die Arschbombe auf dem nächsten Plakat landen würde.

Auf meiner Schulter sitzt sicher kein Engelchen oder Teufelchen. Eher das bräsige, etwas dickliche Nutellaglas mit der Schreibfeder in der Hand und das frisch gebratene Spiegelei mit dem kleinen Taschenrechner.
Macht keinen Sinn? Macht nix. Macht es oft nicht.

Denn die Grundfrage bleibt – dem Idealen folgen oder die Ideale von der Leine lassen?

Vielleicht können sich auch beide am Ende des Tages die Hand geben.
Nicht natürlich, ohne sich vorher kräftig in die Handflächen zu spucken und dabei breit zu grinsen in dem Glauben, der andere habe den herrlich gelben Fleck auf der Innenseite nicht bemerkt.